Wenn sie auftaucht, dauert es nicht lange bis zum Einschreiten der Obrigkeit. Die Rezeptionsgeschichte hat Georges Bizets Antiheldin Carmen zur Femme fatale mit Kassienblüte stilisiert, zum exotischen Männertraum mit wallendem rotem Kleid. Abseits der Zuschreibungen stachelt Carmen Fabrikarbeiterinnen auf, überlistet den Polizeiapparat, führt ein Leben außerhalb bürgerlicher Enge und lässt sich von keinem Mann das Leben diktieren. Zur Spielzeiteröffnung und als erstes Stück in der neuen Raumbühne ANTIPOLIS kehrt die berühmte Opernheldin nun als unbequeme Revolutionärin wieder.
Schon Prosper Mérimées Novelle, die der 1875 uraufgeführten Oper zugrunde liegt, zeichnet ein raues wie verklärtes Bild von der kriminellen Halbwelt in den Bergen und vom desertierten Offizier Don José, der sich in die Schmugglerin mit den Zügen einer Anarchistin verliebt und sie schlussendlich aus Eifersucht tötet. Georges Bizet ergänzt die Geschichte um den Stierkämpfer Escamillo und das „Bauernmädchen“ Micaëla sowie jede Menge folkloristisches Kolorit, und das dramatische Musiktheatergeschehen streift zeitlose Gassenhauer auf dem Weg zum unerbittlichen Ende am Rande eines Massenspektakels. Doch auch Bizets Musik täuscht weder über den schroffen Kern der Geschichte noch darüber hinweg, dass Carmen ausschließlich in der Welt derer spielt, die trotz bescheidener Raubzüge Verlierer:innen bleiben werden. Die charismatische Titelheldin wird dabei zu einem explosiven Symbol der Möglichkeit eines anderen Lebens, eine Allegorie des Unkontrollierbaren.
Intendant Florian Lutz erzählt die vielleicht berühmteste Oper der Welt als Sozialdrama voller Humor in der neuen Raumbühne von Sebastian Hannak, gemeinsam mit dem bewährten Regieteam des Kasseler Wozzeck, das zuletzt mit dem deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Kategorie Inszenierung Musiktheater ausgezeichnet wurde.
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